Der Kommentar: „Der Tag an dem Wladimir Putin sich zum Feind der USA machte!“
Vierzehn Tage sind seit dem Angriff auf das World Trade Center in New York vergangen. Es ist der 25. September 2001. Der Plenarsaal des Reichstagsgebäudes ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Abgeordneten erwarten ihren Staatsgast, der eingeladen wurde, eine Rede vor ihnen zu halten. Eine Ehre die nicht vielen Staatsmännern zu Teil wird. Wladimir Putin schreitet ans Rednerpult. Die erste Rede eines russischen Präsidenten überhaupt im deutschen Parlament soll eine historische werden. Und sie wird es. Historisch, weil er revolutionäres für Deutschland und Europa im Gepäck hat. Historisch aber auch, weil es der Tag werden wird, an dem Wladimir Putin sich durch seine Rede zum größten Feind der USA machte.
Wladimir Putin beginnt mit der allgemeinen Einleitung in seiner Landessprache. Dann geschieht etwas mit dem keiner gerechnet hatte. Putin sagt: „Heute erlaube ich mir die Kühnheit, einen großen Teil meiner Ansprache in der Sprache von Goethe, Schiller und Kant, in der deutschen Sprache, zu halten.“ Es gibt dafür von den Abgeordneten des Bundestages großen Applaus. Der russische Präsident beginnt mit der Vergangenheit und dem Zusammenbruch der Sowjetunion und sagt: „…sodass wir behaupten können, dass niemand Russland jemals wieder in die Vergangenheit zurückführen kann.“ Das bedeutete, das die Sowjetunion unwiederbringlich Vergangenheit ist.
Dann beginnen die Sätze die in Washington wohl aufhorchen ließen: „Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.“ – Spätestens jetzt klingelten in den USA alle Alarmglocken. Europa als mächtiger und selbständiger Mittelpunkt der Weltpolitik durch die Vereinigung mit Russlands Ressourcen und Verteidigungspotential. Das war eine Einladung an Europa sich von den USA zu emanzipieren und eine eigene Macht in der Welt zu werden – ohne Amerika.
10 Jahre lang, waren die USA die Hegemonialmacht in der Welt. Ohne Gegenspieler auf den Kontinenten und Ozeanen dieser Welt. Und nun kommt der russische Präsident – aus dem Land, das den kalten Krieg verloren hat – und erklärt den Deutschen und Europäern, das sie mehr sein können als nur das Anhängsel der USA. Das war eine offene Herausforderung der Hegemonialmacht par excellence.
Doch damit nicht genug fährt Putin fort:“ Jetzt ist es an der Zeit, daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird.“ Europa soll geeint mit Russland für den Frieden in der Welt sorgen. Das ist bislang doch die Aufgabe des Weltpolizisten Amerika gewesen. Nun soll das nicht mehr gelten? Und was ist mit dem verlängerten Arm der USA – der NATO? Auch da hat Putin seine kritischen Anmerkungen zu, die seine Einladung an Europa unterstreichen sollen. Er führt weiter aus: „Wir leben weiterhin im alten Wertesystem. Wir sprechen von einer Partnerschaft. In Wirklichkeit haben wir aber immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen. Trotz der vielen süßen Reden leisten wir weiterhin heimlich Widerstand. Mal verlangen wir Loyalität zur NATO, mal streiten wir uns über die Zweckmäßigkeit ihrer Ausbreitung.“ Hier spricht Putin erstmals die Ausbreitung der NATO an und meint doch ihre Expansion in einem kritischen Kontext. Wie recht er damit haben sollte, beweisen die Expansionen der NATO in Richtung Russland in den Jahren 2004 und 2009. „Wir wollen oder können nicht erkennen, dass die Sicherheitsstruktur, die wir in den vorigen Jahrzehnten geschaffen haben und welche die alten Bedrohungen effektiv neutralisierte, heute nicht mehr in der Lage ist, den neuen Be-drohungen zu widerstehen.“ Das ist der Hinweis darauf, dass die NATO in seinen Augen, keine Existenzberechtigung mehr hat, weil sie für die zukünftigen Aufgaben nicht gerüstet ist. Es geht weiter mit der Kritik am NATO-Russland-Rat und der Tatsache, das Russland zwar Bedenken aussprechen, aber nicht mit Entscheiden darf. Putin wörtlich: Was fehlt heute, um zu einer effektiven Zusammenarbeit zu gelangen? Trotz allem Positiven, das in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, haben wir es bisher nicht geschafft, einen effektiven Mechanismus der Zusammenarbeit auszuarbeiten. Die bisher ausgebauten Koordinationsorgane geben Russland keine realen Möglichkeiten, bei der Vorbereitung der Beschlussfassung mitzuwirken. Heutzutage werden Entscheidungen manchmal überhaupt ohne uns getroffen. Wir werden dann nachdrücklich gebeten, sie zu bestätigen. Dann spricht man wieder von der Loyalität gegenüber der NATO. Es wird sogar gesagt, ohne Russland sei es unmöglich, diese Entscheidungen zu verwirklichen. – Wir sollten uns fragen, ob das normal ist, ob das eine echte Partnerschaft ist.“ Die Frage war berechtigt und ein erneuter Seitenhieb auf die USA und die von ihm geführte NATO.
In Bezugnahme auf die politische Idee, verschiedener Staaten, die NATO aufzulösen und ein eigenständiges gemeinsames Haus Europa aufzubauen kam der russische Präsident zu einem eher traurigen und wenig optimistischen Resümee „Noch vor kurzem schien es so, als würde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames Haus entstehen, in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in nördliche und südliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten, und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgültig von vielen Stereotypen und ideologischen Klischees des Kalten Krieges befreit haben.“
Dennoch wiederholte er seine Einladung und beschwor die Gemeinsamkeiten: „Gleichzeitig bin ich davon überzeugt: Nur eine umfangreiche und gleichberechtigte gesamteuropäische Zusammenarbeit kann einen qualitativen Fortschritt bei der Lösung solcher Probleme wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und vieler anderer bewirken. Wir sind auf eine enge Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit eingestellt.“
Es folgte eine Liebeserklärung an Deutschland und seine über 1000-jährige Geschichte mit Russland. Eine Liebeserklärung wie es sie wohl noch nie gegeben hat, von dem Präsidenten eines Landes, das in zwei Kriegen mit Deutschland mehr als 25 Millionen Tote zu beklagen hatte. Die Rede Putins, war eine Handreichung an Deutschland und Europa, die Welt neu zu denken und neu zu bauen. Eine Idee die den Amerikanern selbstverständlich nicht gefallen konnte. Ihre Vormachtstellung war militärisch wie wirtschaftlich in Gefahr. Was den Amerikanern blieb, war diese Pläne zu torpedieren und zu hintertreiben um einen Keil zwischen Deutschland, Europa und Russland zu treiben.
Wir können nun 21 Jahre nach dieser Rede feststellen, dass den USA genau das gelungen ist. Mit der NATO-Osterweiterungen 2004 und 2009, dem arabischen Frühling 2011, dem Maidan-Umsturz 2014 und den Aufnahmeverhandlungen der Ukraine in die EU. Auch der Kampf gegen den syrischen Präsidenten Assad, wo Russland eine kleine Basis unterhält, war ein kleiner Stich gegen Russland. Und das sind nur die Ereignisse die wir alle sehen konnten.
Wie sähe die Welt heute aus, wenn Deutschland und Europa die von Russland gereichte Hand angenommen hätte und ein Haus Europa gebaut hätte, das von Frankreich bis kurz vor Alaska reichte. Wir hätten keinen Ukraine-Krieg, keine Inflation, keine Energiekrise, keine Gasknappheit, keinen Hass. Wir hätten eine florierende Wirtschaft und Arbeitsplätze ohne Ende.
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